February 14, 2022
OptometrischeAugenglasbestimmung bei einem Aderhautmelanom
Einleitung:
Das maligne Melanom der Aderhaut ist derhäufigste bösartige intraokulare Tumor des Menschen. Er entsteht durch Entartung der Melanozyten und bildet frühzeitig lymphogene und hämotogene Metastasen. Diese wandern meist zuerst in die regionalen Lymphknoten, später bildet er Fernmetastasen in der Haut, Subkutis und inneren Organen. Es entstehen auch sogenannte Satellitenmetastasen, d.h. Metastasen, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Primärtumor liegen. Die Prognose ist abhängig vom klinischen Bild und histologischen Stadium. Der Altersgipfel liegt im fünften bis sechsten Lebensjahrzehnt. (1) Die Symptome des Melanoms sind nicht einheitlich. Folgende Kriterien wecken den Verdacht auf ein malignes Melanom (ABCD-Regel).
Asymmetrie des Herdes: während ein gutartiger Leberfleck symmetrisch und kreisförmig ist, wächst das Melanom ungleichmäßig und asymmetrisch
Begrenzung: unscharf – es zeigt sich häufigein eingekerbter Rand
Colorit: die Färbung ist variabel mit unterschiedlichen Farbnuancen innerhalb des Pigmentflecks
Durchmesser: größer als 5 mm (3)
Weitere klinische Hinweise können sein:
-flache, runde oder erhabenen Pigmentflecken mit grauen Farbnuancen
– der Durchmesser überschreitet selten 3 Papillendurchmesser
– Orangefarbenes Pigment auf der Nävusoberfläche mit rascher Größenzunahme
– Subretinale Flüssigkeitsansammlungen
– Prominenz des Nävus, die 2 mm übersteigt
– Tumorrand, der an die Papille angrenzt.
– Auftreten von Symptomen (z.B.: Photopsien)
Häufig berichten die Patienten über eine schnelle Gewichtsabnahme und Nachtschweiß. (2)
Anamnese:
Eine 82-jährige Kundin stellt sich für eine Augenglasbestimmung und optometrische Messungen vor. Aktuell beschreibt sie den Wunsch nach einer besseren Brille, da sie zum genaueren Sehen in die Ferne immer den Kopf anheben muss und das Lesen so gar nicht mehr funktioniert. Weiterhin berichtet sie von einer Augenoperation als Studie vor einigen Jahren.Dabei sollte das Wachstum des bestehenden, malignen Tumors im linken Auge eingedämmtwerden (Abb. 3). Seit dieser Therapie finden regelmäßige Kontrolluntersuchungen statt. Auf Empfehlung der Augenklinik vor Ort sollen durch einen Optometristen begleitende optometrische Verlaufskontrollen durchgeführt werden. Die Ergebnisse könnten die medizinischen Diagnoseverfahren ergänzen.
Abb. 1: Kundin mit Aderhautmelanom im linken Auge
Bei den optometrischen Messungen wurden folgende Messdaten erhoben:
vorhandene Gleitsichtbrille: 4,5 Jahre alt
F. R: sph +1,50 cyl +0,75 A 178° Vcc 0,6+
L: sph +1,25 cyl+0,50 A 166° Vcc 0,1
N. Add. 2,75
Subjektive Refraktion:
F. R: sph +2,00 cyl+1,00 A 4° Vcc 0,8+
L. sph +2,00 cyl+0,50 A 174° Vcc 0,4+
N. R. sph +4,75 cyl +1,00 A 4° Vcc 0,8-
L. sph +4,75 cyl+0,50 A 174° Vcc 0,3
Abb. 2: Wave Analyzer - linkes Auge
Pachymetrie: od: 619 Mikrometer os: 621 Mikrometer
Non-Kontakt Tonometrie (mm/Hg):
Uhrzeit 9:30 UhrOD: 23,2; 23,1; 22,7 = 23,0 OS: 23,0; 23,1; 22,9 = 23,0
OD: 20,1 OS: 20,0 korrigiert durch die Dresdner Tabelle
Kammerwinkel: OD:nasal 31° temporal 33° OS: nasal 31° temporal 39°
Vorderkammertiefe: OD: 2,98 mm OS: 2,94 mm
Amslergitter: OD: unauffällig OS: unauffällig
Spaltlampe: OD: IOD OS: IOD, leichterEnopthalamus
Gesichtsfeldmessung:
Mittels der Konfrontationsperimetrie konnte bei dem linken Auge ein peripheres Skotomim nasalen Gesichtsfeldbereich nachgewiesen werden.Die Gesichtsfeldeinschränkung des linken Auges nimmt die Kundin kaum wahr. Das rechte Auge ergänzt das fehlende Gesichtsfeld für das linke Auge, so dass im Binokularsehen keine Einschränkungen wahrgenommen werden. Auf eine Geräteperimetrie wurde verzichtet, da sie regelmäßig durch die betreuenden Ärzte an der Augenklinik durchgeführt wird.
Fundusaufnahme:
Abb. 3: Aderhautmelanom - linkes Auge
Die Messungen fanden in einem Abstand von 3 Monaten statt.
Behandlung:
Mit der Therapie soll die Entwicklung eines schmerzhaften und unansehnlichen Auges verhindert und so viel Sehleistung wie möglich erhalten werden. Da der Zeitpunkt der Metastasierung unbekannt ist, kann auch nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die okuläre Therapie die Überlebenszeit beeinflusst. Die Maßnahmen müssen somit auf die individuelle Patientensituation abgestimmt werden. Im vorliegenden Fall nahm die Kundin vor einigen Jahren an einer photodynamischen Therapiestudie (PDT) teil. Das Ziel dieser Studie war es, zu untersuchen, ob mittels einer photodynamischen Therapie mit Verteporfin eine Tumorzellnekrose bei einem Aderhautmelanom angewendet werden kann.
Auf weitere Therapiemaßnahmen wurde auf Grund des Alters und der chronischen Erkrankung der Patientin verzichtet. Die Risiken, die durch das Hinauszögern der Therapie entstehen, sind unklar. Deshalb steht die Kundin unter regelmäßiger medizinischer Kontrolle. Dabei finden vierteljährliche Untersuchungen der Melanozyten, der Lungen und der Leber statt. Wir versorgten die Kundin mit einer Gleitsichtbrille und führen regelmäßige optometrische Verlaufskontrollen durch.(4)
Diskussion:
Das Aderhautmelanom ist der häufigste primäre intraokuläre Tumor des Erwachsenen und macht etwa 90% der UVEA-Melanome aus. Es besteht eine Inzidenz von etwa 5 Erkrankungen pro Millionen und Jahr. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Der klinische Gipfel für die Manifestation liegt um das sechszigste Lebensjahr. Oft ist die Aufdeckung des asymptomatischen Tumors ein Zufallsbefund bei einer Routineuntersuchung. Im Gegensatz dazu kann sich der Tumor auch mit verschiedenen Symptomen zeigen. Dazu zählen: eine Herabsetzung des Visus, Metamorphopsie, Gesichtsfelddefekt, Schwebeteilchen oder einem kurzen „Lichtball“ der zwei – dreimal pro Tag über das Gesichtsfeld wandert. Echte Symptome treten oft erst dann auf, wenn die Sehachse durch den Tumor oder die begleitende Flüssigkeitsansammlung unter der Netzhaut beeinträchtigt wird. Dies ist beiperipher wachsenden oder im Glaskörper lokalisierten Tumoren erst im späterenStadium der Fall.
Das maligne Melanom der Aderhaut umfasst eine Vielzahl von Erscheinungs- und Wachstumsformen sowie die unterschiedlichsten Grade der Pigmentierung. Es entwickelt sich meist einseitig. Der Tumor liegt zwischen Sklera und Bruch ’scher Membran und wölbt sich keilförmig in Richtung Glaskörper vor. Das Melanom kann sich bei ungünstiger Tumorlage, z. B. hinter der Iris, dem Beobachter auf den ersten Blick entziehen und ist nur bei eingehender Untersuchung erkennbar. Solche Tumoren können auch wegen fehlender Beeinträchtigung des Sehvermögens eine beträchtliche Größe erreichen bevor sie diagnostiziert werden. Äußere Zeichen sind erweiterte Gefäße auf der Bulbusoberfläche, die im Bereich des Tumors liegen und seiner Blutversorgungdienen. Der Pigmentgehalt des Tumors ist sehr variabel, typisch sind gleichmäßig braungefärbte Tumoren.
Selbst innerhalb desselben Tumors lassen sich oft mehrere verschieden gefärbte Bereiche beobachten. Intraokulare Reizzustände sind häufig bei nekrotischen Tumoren anzutreffen und können eine Uveitis anterior oder posterior erzeugen. Bei Annäherung an die Linse kann eine Linsensubluxation, ein lentikulärer Astigmatismus oder eine einseitige Katarakt verursacht werden. Erweiterte episklerale Gefäße, die der Ernährung des Tumors dienen, sollten an einen Tumor denken lassen. Verdächtig im Hinblick auf ein Tumorgeschehen sind ebenso veränderte Gefäßstrukturen am Augenhintergrund. Diese Gefäßerweiterungen aber auch eine Tumornekrose können Ursprung von Blutungen im Tumorbereich sein. Ein Aderhautmelanom in Papillennähe kann unter Umständen eine Papillenschwellung und das Bild einer Optikusneuritis hervorrufen. Eine einseitige Katarakt sollte auch an die Möglichkeit eines Tumors denken lassen.
Ein Aderhautmelanom kann sich aus einem vorbestehenden Aderhautnävus (Abb. 4) entwickeln. Ihre Inzidenz beträgt etwa 10%. Sie sind meist schon bei Geburt vorhanden und zeigen oft einen Wachstumsschub in der Präpubertät. Menschen, die eine okuläre Melanozytose haben, d. h. ein angeborenes vermehrtes Vorkommen von Pigmentzellen im Auge aufweisen, haben ein 30 fach erhöhtes Risiko, an einem Aderhautmelanom zu erkranken.
Abb. 4: Aderhautnävus - im linken Auge
Je nach Größe und Lokalisation der Tumore können sie durch eine Hitzebehandlung mit einem Laser (Transpupillare Thermotherapie) behandelt werden. Mittelgroße Tumore können mit einem Strahlenträger, der von außen auf das Auge aufgenäht wird, therapiert werden. Große Tumore können über eine externe Bestrahlung erreicht werden. In einzelnen Fällen müssen die Tumore aus dem Auge herausoperiert werden. Bei sehr großen Tumoren, die zu Komplikationen im Auge geführt haben, kann die Entfernung des Auges unumgänglich sein.(1)
In einem anderen Fall betreuten wir eine Kundin, bei der sie ihr rechtes Auge und große Gesichtsanteile an einen Nasennebenhölenkarzinom verloren hatte. Die Prognose war im Frühstadium relativ gut. Durch den Einbruch in die Augenhöhle verschlechterte sich der Zustand rapide und eine Operation war unumgänglich. Eine chirurgische Gesichtsrekonstruktion konnte nicht durchgeführt werden. Wir passten eine Brille an, an die eine Epithese montiert wurde (Abb. 5). „Meine Epithese gibt mir wieder die Chance am öffentlichen Leben teilzunehmen“.
Abb. 5: Brille mit einer Epithese
Fazit:
Durch die enge Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten, entstand für die Kundin ein multiprofessionelles, interdisziplinäres Team mit einem kontinuierlichen Austausch. Die Ergebnisse der regelmäßigen optometrischen Verlaufskontrollen berichteten wir in einer Fallkonferenz. Dabei wurde die gemeinsame Strategie für das weitere Vorgehen festgelegt.
Literatur
1. Kanski: Klinische Ophthalmologie, Urban & FischerVerlag, 6. Auflage, 2008
2. Bach H.-D. Äußere Kennzeichen Innerer Erkrankungen, BIORitter GmbH, 17. Auflage, 2010
3. Bierbach E. Naturheilpraxis Heute, Urban & Fischer,4. Auflage, 2009
4. Patientenunterlagen
Bildquellen:
Abb. 4: Dr. Daniela Nosch
Abb. 1,2,3,5: Randy Freitag
Autor:
Randy Freitag – GermanEyeCare – Hoffmannoptik e.K. – Augenoptisches Kompetenzzentrum im Markgräflerland EurOptom, Augenoptiker-Meister, Heilpraktiker veröffentlicht: Deutsche Optikerzeitung - 2/2016