
Februar 14, 2022
Der retinale Venenverschluss (RVV)
Einleitung:
Die retinalen Venenverschlüsse stellen die häufigste primäre Durchblutungsstörung des Auges dar. Dabei ist der Zentralvenenverschluss (ZVV) die zweithäufigste vaskuläre Erkrankung der Netzhaut nach der diabetischen Retinopathie. Ein drohender Zentralvenenverschluss ist eine seltene, schlecht definierte Erkrankung die sich zurückbilden oder zu einem vollständigen Venenverschluss entwickeln kann. Charakteristisches Leitsymptom ist das Verschwommensehen, welches beim Aufwachen am stärksten ist und später nachlässt. [1, 2, 5]
Anamnese:
Ein langjähriger Kunde stellt sich im Rahmen unseres Augenfürsorge-Programms zur jährlichen Kontrolle vor. Der 68-Jährige konnte seit unserer letzten Augenglasbestimmung keine großen Sehveränderungen feststellen. Die zu diesem Zeitpunkt neu angefertigte Gleitsichtbrille leistet hervorragende Dienste und somit konnte er auch die anschließende LKW-Prüfung mit Bravour bestehen. Heute berichtet er von seiner veränderten körperlichen Konstitution. Neben seiner lang bestehenden Rheumatischen Erkrankung kamen seit einigen Monaten, eine signifikante Steigerung des Blutdrucks mit Vorhofflimmern, eine Gewichtszunahme und Veränderung der Cholesterinwerte dazu. Auf diese Veränderungen führte er das leichte, morgendliche Schleiersehen auf dem rechten Auge zurück.
Die Medikamentenanamnese zeigt folgende Aufstellung:
Medikament Anwendung
Allopurinol erhöhte Harnsäurewerte
Candecor comp. Erweitert indirekt die Blutgefäße
Simavastatin ratio Cholesterinsenker
Bisoprolol ß-Blocker, Blutdrucksenker
Lixiana Vorbeugung von Schlaganfallund Embolie bei Vorhofflimmern
Ezetrol ergänztdie cholesterinsenkende Wirkung
Familienanamnese: Bluthochdruck
Soziales Umfeld, Beruf: Rentner, LKW-Fahrer
Letzter AA Termin 2017: alterstypischer Normbefund
Symptomeund Befunde:
VisuellesSystem
– Gleitsichtbrille
– keine Doppelbilder
– keine asthenopischen Beschwerden
-leichtes Neblig sehen mit dem rechten Auge
– veränderte Farbwahrnehmung: blau-gelb
OptometrischeMessungen: 6 / 2018 - Vorjahresbefund
Führungsauge: OS
Pupillenreaktionstest
– beide Augen (OU): 4,5 mm bei Dunkelheit – 3,0 mm bei Helligkeit
– kein relativer afferenter Pupillendefekt (RAPD) – (Swinging-Flashlight-Test)
– veränderte Farbwahrnehmung: blau-gelb -> durch Ishihara bestätigt
Visus getragene Brille: 1/2011
– Ferne R: sph -1,25 cyl +1,50 A 72° Vcc 0,8+
L: sph -0,75 cyl +0,75 A 114° Vcc 0,8
– Nähe: Add.: 2,25
Augenglasbestimmung: Ferne R: sph -1,50 cyl +1,25 A 79° Vcc 0,95 – L: sph -1,00 cyl +0,50A 108° Vcc 1,00
– Binokularsehen:ohne pathologische Befunde
Kontrastempfindlichkeit: OD / OS: entsprechend der Altersnorm [GPDH5] [RF6] [RF7]
Vorderkammertiefe (mm): OD: 2,77 – OS: 2,87
Augeninnendruck (IOP) 9.30 Uhr – NCT
– OD: 13,0 mm/Hg – 15,8mm/Hg (korrigiert nach Dresdner Tabelle)
– OS: 11,0 mm/Hg – 13,4 mm/Hg (korrigiertnach Dresdner Tabelle)
Kammerwinkel: OD: 28° OS: 29°
Spaltlampenbefund
– Augenlider /Adnexe: schwache Dermatochalasis – OU
Ectropium senile – OU
– Bindehaut / Lederhaut: leichte konjunktivale Hyperämie Grad 1 – OU
– Wimpern: unregelmäßiger Wimpernwuchs – OU
– Hornhaut: schwacher arcus lipoides OU[GPDH9] [RF10]
– Iris: ohneAuffälligkeit OU
– Augenlinse: beginnendeKatarakt – cataracta incipiens – OU
Augenhintergrund (Bild 1/ 2)
– Glaskörper: normal OU
– Papille: normal OU
– Cup to Disc Ratio: 0.2 OU
– Makula: normal OU
– Gefäße: Arterien-Venen-Verhältnis: 0,5
– Peripherie: normal OU

Bild 1: rechte zentrale Netzhaut

Bild 2: linke zentrale Netzhaut
Bei der Augenglasbestimmung konntenausschließlich alterstypische Veränderungen festgestellt werden, die sich innerhalb der Normvarianz befanden.
OptometrischeMessungen: 4/2019
Augenhintergrund (Bild 3/4)

Bild 3: rechte zentrale Netzhaut mit multiplen, flammenförmigen Punkt- und Fleckblutungen

Bild4: linke zentrale Netzhaut
Für die bessere Erkennbarkeit der Einblutungen wurde ein Grünfilter (rotfrei) verwendet.
Visus cc OD: von 0,95(6/18) auf 0,1 mit Metamorphopsien OS: 1,0
Nachfrage bei dem Kunden:
Um einen möglichen, drohenden Schlaganfall oder Herzinfarkt auszuschließen wurde nach genauen Symptomen gefragt:
– keine latente Parese oder Schmerzen im linken Arm
– keine feinmotorischen Störungen und Gangunsicherheit
– keine Angstzustände
– kein Herzrasen
Pupillenreaktionstest: kein relativerafferenter Pupillendefekt (RAPD) – (Swinging-Flashlight-Test)
Verdachtsdiagnose:
Der Kunde leidet an einem Hemizentralvenenverschluss des rechten Auges. Das zeigt sich in den typischen Punkt- und Fleckblutungen in der unteren Netzhauthälfte, sowie am stak reduzierten Visus mit Metamorphopsien. Im linken Auge konnten keine Auffälligkeiten gefunden werden.
Behandlung:
Wir haben sofort den Augenarzt des Kunden von unserem vorliegendem Fotobefund und dem reduzierten Visus unterrichtet. Daraufhin wurde der Patient von seinem Schwiegersohn direkt in die Praxis gebracht, wo sich unsere Verdachtsdiagnose bestätigte. Die weitere Diagnostik und Behandlung wurde dann von der Universitätsaugenklinik Freiburg durchgeführt. Rückblickend stellt sich die Frage, ob die veränderte Blau-Gelbfarbwahrnehmung auf die Medikamenteneinnahme oder erste sanfte Hinweise auf das Netzhautgeschehen waren (siehe Symptome und Befunde).
Informationen aus der Notfallsprechstunde – Klinik für Augenheilkunde:
Es zeigte sich im OCT kein Makulaödem. In der Angiographie fanden sich keine neovaskuläre Areale. Somit sind intravitrale Injektionen oder eine Laserkoagulation aktuell nicht angezeigt. Empfohlen werden regelmäßige Kontrollen beim niedergelassenen Augenarzt und eine weitere kardiovaskuläre Abklärung über den Hausarzt.
Fluoreszenzangiographienach 65 Sekunden

Bild 5: rechtezentrale Netzhaut

Bild 6: linke zentrale Netzhaut
Beider Fluoreszenzangiographie zeigen sich die verschiedenen Leckagen der Venen desr echten Auges. Zum Vergleich findet im linken Auge kein Flüssigkeitsaustritt statt.
Diskussion:
Der ischämische Zentralvenenverschluss ist durch einen sich rasch entwickelnden Verschluss charakterisiert, der eine verminderte Netzhautperfusion, Kapillarverschlüsse und Netzhauthypoxie zur Folge hat. Dies kann zu einer erheblichen Gefäßleckage, Rubeosis iridis und einem Neovaskularisationsglaukom führen. Bei venösen Thrombosen bildet sich das Blutgerinnsel am Ort der Verstopfung. Am Auge sind das meist funktionelle Engstellen, wie der Durchtritt der Zentralvene durch die Lamina cribrosa sclerae oder an Gefäßkreuzungen. Als Auslöser zählen Gefäßwandschäden, herabgesetzte Blutflussgeschwindigkeitund veränderte Blutzusammensetzung (Virchow-Trias). Grundlage ist häufig eine sklerotische Wandveränderung einer Begleitarterie, die dann Druck auf die Veneausübt. Bei arterieller Hypertonie, hohem Intraoklulardruck, Diabetes mellitus oder Blutgerinnungsstörungen treten Venenverschlüsse häufiger auf. Die Symptome eines retinalen Venenverschlusses entwickeln sich innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen. Betroffene bemerken plötzlich einen dunklen Schleier vor dem Auge, andere eine Verzerrung beim Sehen (Metamorphopsien). Das wichtigste Symptom ist eine verminderte Sehschärfe. Ausgeprägte Beschwerden gehen aber meist nicht auf das Konto des Venenverschlusses selbst, sondern werden von einem Makulaödem verursacht. Die meisten akuten Veränderungen bilden sich über die folgenden 9-12 Monate zurück. Restbefunde können eine epiretinale Gliose in der Makula und Pigmentveränderungen sein. Selten entwickelt sich eine subretinale Fibrose, die der exudativen altersbedingten Mauladegeneration gleicht. Ein bestehender Bluthochdruck ist der einflussreichste Faktor bei der Entstehung eines retinalen Venenverschlusses – ein Problem, das Raucher und Menschen mit Diabetes mellitus überdurchschnittlich häufig betrifft. Auch ein zu hoher Cholesterinwert oder ein gesteigerter Harnsäuregehalt des Blutes erhöht das Risiko. Im Auge selbst kann ein erhöhter Augeninnendruck (Glaukom) einen Venenverschluss auslösen. Je nachdem, welche Vene verschlossen ist, unterscheidet man zwei Arten des retinalen Venenverschlusses:
Ist die Zentralvene betroffen, liegtein Zentralvenenverschluss (ZVV) oder auch Zentralvenenthrombose vor. Hier istder Blutabfluss aus der gesamten Netzhaut gestört. Ein solcher Zentralvenenverschluss deutet sich durch Verschwommensehen an.
Sind die kleineren Äste der Zentralvene blockiert, handelt es sich um einen Venenastverschluss (VAV). Meistens ereignet er sich dort, wo sich Arterien und Venen kreuzen. Ein Venenastverschluss verläuft meist günstiger, der Sehverlust ist milder und oft auf einen bestimmten Teil des Gesichtsfeldes begrenzt. [1, 2,3, 4, 5]
Fazit:
Notfälle am Auge frühzeitig erkennen, die Situation korrekt einschätzen und richtig handeln, das liegt heute auch in der Verantwortung der Augenoptiker und Optometristen.
Bild-, Abbildungsnachweis: Randy Freitag
Literatur:
[1] KlinischeOphthalmologie, Kanski, Unban & Fischer, 6. Auflage
[2] A. Burk, R.Burk; Checkliste Augenheilkunde; Thieme-Verlag, 1999
[3] A. Berke, Allgemeinerkrankungenund das Auge, DOZ-Verlag, 2. Auflage, 2009
[4] A. Berke, Ch.Rauscher, Alternund Auge, DOZ Verlag, 2007
[5] www.uniklinik-freiburg.de/augenklinik
Autor:

Randy Freitag – GermanEyeCare – Hoffmannoptik e.K. – Augenoptisches Kompetenzzentrum im Markgräflerland EurOptom, Augenoptiker-Meister, Heilpraktiker veröffentlicht: Deutsche Optikerzeitung - 8/2019