
Februar 14, 2022
Optometrische Augenglasbestimmung bei Medikamentenintoxikation durch Chloroquin
Anamnese:
Eine 76-jährige Kundin stellt sich für eine Augenglasbestimmung vor. Sie klagt über eine stetige Sehverschlechterung mit leichten Augenschmerzen, Photophobie und ständiger Epiphora (Tränenträufeln). Die Tränen muss sie sich immer abwischen und je nach Wetterlage ist es besonders schlimm. Bei kaltem, starkem Wind verlässt sie nur ungern das Haus, zumal sie dann besonders ihre „Knochen spürt“. An manchen Tagen kann sie sich ihre Bluse kaum selbst zuknöpfen, so steif sind ihre Finger. Des Weiteren sehen ihre Augen immer rot, müde und glanzlos aus. Bei einem Tropenurlaub, vor circa 30 Jahren, hatte sich die Kundin mit der Malaria quartana infiziert. Dazu kam später eine Rheumatoide Polyathritis die ebenso wie die Malaria auch mit dem Medikament Chloroquin behandelt wird. Die tägliche Dosisbeträgt 250 mg.
Befunde:
Bei der optometrischen Untersuchung wurde eine Trübung der Hornhaut, verbunden mit einer starken Vaskularisation, erkannt. Die Pupille des linken Auges ist entrundet und an beiden Netzhäuten wurde eine Retinopathie festgestellt. Die Fundusskopie zeigt das typische Bild einer „Schießscheiben-Makulopathie“.
Durch die Gesichtsfeldmessung konnte ein zentrales, relatives Skotom, welches durch eine herabgesetzte Lichtunterscheidungsempfindlichkeit zu erklären ist, nachgewiesen werden. Rot-Grün-Farbsinnstörungen maskieren heute die Blau-Gelb Störungen, über die die Kundin bereits in der Vergangenheit geklagt hatte. Somit ist das Farbensehen stark eingeschränkt. Des Weiteren fixiert die Patientin nicht mehr zentral. Sie dreht ihren Kopf leicht nach links (Lävoversion), um mit einer intakten Netzhautstelle zu fixieren. Vereinzelte Epitheleffekte konnten mit Fluoreszein angefärbt werden. Die subjektive Refraktion ergab folgende Werte:
F: R. sph -7,75 cyl +0,5 A 76° Vcc 0,3
L. sph -7,00 Ausgleich Vcc Hell / Dunkel
N: Add.3,0 Vcc 0,2+
Bei der Augenglasbestimmung musste auf die leicht schräge Kopfhaltung und das Suchen „Wo ist die beste Netzhautstelle?“ geachtet werden. Diese optimale Stelle konnte für die Gleitsichtglaszentrierung genutzt werden. Die Verlaufskontrolle kann die Kundin zukünftig mit einem „Amsler Gitter“ daheim durchführen.

Bild 1: Hornhauttrübung linkes Auge

Bild 2: Gesichtsfeld des rechten Auges *1
*1 Gerät: Octopus1-2-3, Programm STX, Strategie 2 Niveau, Reizmarken 82, Fangfragen pos.0/4 neg. 0/5
Diagnose:
Die Patientin leidet unter den Nebenwirkungen der langjährigen Chloroquin-Medikation.
Behandlung:
Die Kundin erhielt auf eigenen Wunsch eine Multifokalbrille mit einem modernen Gleitsichtglas für das rechte Auge. Die Breite der Progressionszone war maßgebendes Kriterium für die Glasauswahl. Das linke Auge konnte nicht mehr durch die Brillenoptik unterstützt werden. Somit verwendeten wir ein Einstärkenglas. Die Kunststoffgläser wurden mit einer schwachen Verlaufstönung versehen, um die trübe Hornhaut des linken Auges zu kaschieren. Die Tönung reduziert auch die Photophobie der Kundin. Bei der Fassungsauswahl waren neben einem modernen Design, die Stabilität, und ein großes Gesichtsfeld und ein angemessener Windschutz entscheidende Faktoren. Die geänderte Kopfhaltung fand Einfluß bei der Zentrierung des Gleitsichtglases. Die genauen Zentrierdaten wurden durch die Videosequenzen mit dem Visioffice-System ermittelt, auf die Stützscheiben übertragen und bei unterschiedlichen Kopf- und Körperhaltungen kontrolliert. Ein guter Sonnen- und Windschutz konnte mit einer separaten Sonnebrille erzielt werden. Die Seitenschutzfassung der Firma Schweizer verglasten wir mit den gleichen Gläsern wie die Alltagsbrille. Die Tönung wurde durch das Vorhalten von verschiedenen Tönungen an einem sonnigen Tag vor unserem Geschäft ermittelt. Für das Lesen, auf den zahlreichen Reisen, vermittelten wir der rüstigen Seniorin ein mobiles, elektronisches Lesegerät – Quicklook Touch der Firma Eschenbach.
Diskussion:
Chloroquin ist das Mittel der Wahl bei Malaria quartana und Malaria tertiana. Es hemmt im Malariaerreger (Plasmodium malariae) das Enzym Hämpolymerase, das die Anreicherung von schädigenden Abbauprodukten des roten Blutfarbstoffs verhindern soll. Bei einem Verlust der Hämpolymerasewirkung geht der Erreger zugrunde. Als weitere Indikationen für den Einsatz von Chloroquin sind die rheumatoide Polyarthritis („Rheuma“) und der systemische Lupus erythematodes, eine Autoimmunerkrankung, die nahezu alle Organe betreffen kann, hinzugekommen. Chloroquin hemmt die Wirkung lysosomaler Enzyme körpereigener Zellen und schwächt zudem die Stimulation vonT-Lymphozyten, die an den Gewebeschäden bei Rheuma und dem Lupus erythematodes beteiligt sind ab. Bei allen genannten Erkrankungen ist der Patient auf eine langwierige Einnahme des Medikaments angewiesen, weshalb hier mit Nebenwirkungen zu rechnen ist. Hautveränderungen, Haarausfall, Muskeldegenerationen und Krampfanfälle gehören zum Spektrum möglicher Chloroquinnebenwirkungen. Am Auge ist besonders die Netzhaut von den Chloroquinnebenwirkungen betroffen. In der Hornhaut kann sich das Mittel beilängerer Anwendungsdauer einlagern. Die Retinotoxizität von Chloroquin ist auf ihren Wirkmechanismus, die anzuwendende Dosis und die Therapiedauer zurückzuführen. Die starke Bindung der Wirkstoffe an das Retinale Pigmentepithel hat den teilweisen Untergang von Pigmentepithelzellen und damit eine starke Schädigung von Ganglien- und Rezeptorzellen zur Folge. Die Arteriolen der Retina sich teilweise zurück, wodurch die Netzhautschäden zusätzlich verstärkt werden. Im fortgeschrittenen Stadium tritt das charakteristische Bild der Makulopathie auf. Im Frühstadium nimmt der Patient eine Blau-Gelb Störung wahr, die später durch eine Rot-Grün Störung überlagert wird und somit das Farbensehen stark beeinträchtigt. Die Netzhautdefekte sind durch die Perimetrie als relative Skotome nachweisbar.

Bild 3: Schießscheiben Makulopathie *2
*2 Das Bild zeigt eine moderate Schießscheiben Makulopathie mit einer zentralen foveolären Pigmentierung, die von einer depigmentierten Zone mit einer Retinalenpigmentepithel Atrophie (RPE) umgeben ist. Daran schließt sich ein hyperpigmentierter Ring an.
Fazit:
Hervorzuheben ist die Aufklärung der Kundin über ihr eingeschränktes Gesichtsfeld. Vor dem Überqueren der Straße ist der Kopf stärker nach links zu drehen um keine Fahrzeuge zu übersehen. Die Brille als Schutz vor Staub, Wind und Verletzungen wurde ebenfalls verdeutlicht. Da die Retinotoxizität eine zu erwartende Nebenwirkung von Chloroquin ist, sollte bei Patienten, die dieses Mittel einnehmen müssen, regelmäßig das Farbensehen geprüft werden. Es zeigt sich immer wieder, dass Auffälligkeiten des Farbensehens zu einem Zeitpunkt nachgewiesen werden können, zu dem noch keine ophthalmoskopischen Auffälligkeiten des Auges zu erkennen sind.
Quelle: „Pharmakologie des Auges“ A. Berke, W. H. Vogel, DOZ
„Allgemeinerkrankungenund das Auge“ A. Berke, DOZ
Autor:

Randy Freitag – GermanEyeCare – Hoffmannoptik e.K. – Augenoptisches Kompetenzzentrum im Markgräflerland EurOptom, Augenoptiker-Meister, Heilpraktiker veröffentlicht: Deutsche Optikerzeitung - 3/2012